Raum 4 – Kämpfen

02.09.2021 Team LWL-Preußenmuseum

Grafik zum Raumthema Kämpfen

Raumtext

Durch Militärdienst zur Gleichberechtigung?

Mit einer Verordnung, dem königlichen Edikt von März 1812, erfolgte eine erste bürgerliche Gleichstellung der Jüdinnen und Juden in Preußen. Damit war auch die Militärpflicht verbunden, die ab 1814 für alle männlichen Untertanen galt und 1845 erneut für Juden bestätigt wurde. Höhere Staatsämter und Offiziersstellen blieben Juden zwar weiterhin verschlossen, aber der Eintritt ins Militär erschien als eine besondere Chance, die völlige Anerkennung als gleichberechtigte Bürger Preußens zu erlangen. Jüdische Bewerber hofften, nach einem langjährigen Militärdienst in Beamtenstellen wechseln zu können, die ihnen ansonsten verwehrt waren. Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings nur sehr selten. Meno Burg, der ohne Religionswechsel und gegen viele Widerstände zum Major aufstieg, blieb die Ausnahme.

Im Ersten Weltkrieg grenzte die 1916 offiziell veranlasste „Judenzählung“ in der Armee erneut jüdische Kriegsteilnehmer aus. 1934 wurde den teilweise hoch dekorierten Veteranen noch das Ehrenkreuz des Weltkrieges verliehen. Vor der bald einsetzenden Verfolgung schützte es sie jedoch nicht. •

Uniformrock Sally Strauss, um 1913, Wolltuch, Tombakknöpfe, Leinen, Eigentumsrock für Einjährig-Freiwillige des Infanterie-Regiments Nr. 15, Minden. Leihgabe: Jeffrey Stein.

Uniformrock Sally Strauss

Durch höhere Schulbildung hatten Wehrpflichtige in Preußen die Möglichkeit, ihren Militärdienst auf ein Jahr zu verkürzen und danach über regelmäßige Übungen zum Reserveoffizier aufzusteigen. Die Kosten für Ausrüstung, Unterkunft und Verpflegung mussten selbst übernommen werden. Der Reservedienstgrad erleichterte im Kaiserreich den beruflichen Aufstieg und den Zugang zur besseren Gesellschaft. Juden konnten zwar die Einjährigen-Laufbahn einschlagen, wurden aber vom Zugang zum Offizierskorps regelmäßig ausgeschlossen. Satirische Zeitungen wie der Simplicissimus griffen häufig das Bild des intellektuellen jüdischen Einjährigen auf, der in Konflikt mit Vorurteilen seiner Vorgesetzten gerät.

Gedenktuch an den jüdischen Feldgottesdienst vor Metz 1870, bedruckte Baumwolle, Originaltuch 68 × 68 cm, Mindener Museum, Inv. Nr. 7 H 1.

Jom Kippur

Am Versöhnungstag „Jom Kippur“ feierten 1870 bei der Einschließung der Festung Metz im Deutsch-Französischen Krieg etwa 1200 deutsche Soldaten jüdischen Glaubens einen großen Feldgottesdienst. Die Texte des Erinnerungstuches stammen von Gustav Philippson, einem Rabbiner, promovierten Lehrer und Landtagsabgeordneten. Die auch als Druck verbreitete Darstellung beschwört die über Religionsgrenzen hinweg reichende kameradschaftliche Einigkeit in Kriegszeiten, die auch Grundlage für das neugegründete Kaiserreich sein sollte.

Gustav Graef, Auszug der ostpreußischen Landwehr 1813, 1860/61, 101 × 131 cm, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg.

Auszug der ostpreußischen Landwehr 1813

An den Befreiungskriegen 1813–15 nahmen zahlreiche Freiwillige jüdischen Glaubens teil, viele wurden mit dem militärischen Orden des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Das Gemälde greift in der Darstellung der jüdischen Familie am rechten Bildrand die Hoffnung der Jüdinnen und Juden auf gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung auf. Nach 1815 wurde durch die Niederlage Napoleons der Emanzipationsprozess in vielen staatlichen Bereichen jedoch wieder zurückgenommen und relativiert.

Richard Stern vor seinem Geschäft, Köln, April 1933, Steinheim-Institut/Gidal-Bildarchiv, Nr. 2851.

Richard Stern

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hofften zahlreiche ehemalige jüdische Soldaten, wie der Kaufmann Richard Stern, durch ihren Einsatz für das Kaiserreich im Ersten Weltkrieg und die dort erworbenen Auszeichnungen vor Übergriffen bewahrt zu bleiben. Ab 1933 wurden auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ schrittweise alle Juden aus Militär und Verwaltung entlassen. Der Frontkämpferstatus führte vielfach noch bis zu den Novemberpogromen 1938 zu einer trügerischen Übergangsphase.

Ehrenkreuz für Frontkämpfer, Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer und Ehrenkreuz für Hinterbliebene; LWL-Preußenmuseum Minden, Inv. Nr. Mi-008-2018, Mi-005-2012-2 und Mi-129-2021.

Ehrenkreuze des Weltkrieges

Zum 20. Jahrestag des Kriegsausbruchs stiftete Reichspräsident von Hindenburg 1934 das Ehrenkreuz des Weltkrieges. Es wurde auf Antrag und Nachweis der Berechtigung in unterschiedlichen Ausführungen verliehen: für Frontkämpfer mit Schwertern und Lorbeerkranz, für Kriegsteilnehmer mit Eichenkranz und für Hinterbliebene in schwarz mit Lorbeerkranz. Nach dem Tode Hindenburgs im August 1934 erfolgte die Verleihung im Namen des „Führers und Reichskanzlers“ auch an jüdische Antragsteller.

Fragen an den Militärrabbiner Zsolt Balla

Was bedeutet es für Sie der erste Militärrabbiner in der deutschen Bundeswehr zu sein?

Als erster Militärrabbiner der deutschen Bundeswehr trägt man eine große Verantwortung, sowohl für die Soldaten:innen ganz persönlich als Seelsorger, als auch für den interreligiösen Dialog in der Gesellschaft. Mein Wunsch ist es, dieses Amt dafür zu nutzen, weitere Schritte in Richtung Toleranz und Verständnis zu gehen. Die Bundeswehr ist ein deutscher Mikrokosmos,  der viele Menschen verschiedenster kultureller Hintergründe, Religionen und Gesellschaftsschichten vereint. Das Ziel dieser Institution und deren Mitglieder sollte letztendlich aber nicht Krieg, sondern Frieden sein. Dazu möchte ich beitragen. •


Sehen Sie sich in der Traditionslinie der jüdischen Militärseelsorge in den deutschen Streitkräften?

Meine Arbeit als Militärrabbiner knüpft an die Traditionen der Feldrabbiner vor 100 Jahren an, als diese ganz selbstverständlich integriert waren. Allerdings wurden Militärseelsorger damals nur in Kriegs- und Notzeiten eingesetzt, es blieb also kaum eine Möglichkeit, Ideen, die auch die Gesellschaft mit einbeziehen könnten, nachhaltig zu vermitteln. Meine Chance ist es nun, in Friedenszeiten innerhalb und außerhalb der Bundeswehr zu wirken, um die demokratischen Werte mit aufrecht zu erhalten und gleichzeitig deutsche Juden und Jüdinnen ein besseres Selbstbewusstsein zu geben. •
 



Zsolt Balla ist am 21. Juni 2021 in das Amt des Miltärrabbiners eingeführt worden. Damit ist der Landesrabbiner von Sachsen der erste Vertreter einer jüdischen Militärseelsorge seit rund 100 Jahren in den deutschen Streitkräften. Er wurde am 18. Februar 1979 in Budapest, Ungarn, geboren. Nach dem Studium der Ingenieurswissenschaften an der Technischen Universität Budapest kam er im Jahr 2002 nach Deutschland und besuchte die Talmud-Hochschule Beis Zion in Berlin. Er absolvierte das Studium am orthodoxen Rabbinatsseminar in Berlin. Damit war er einer der ersten in Deutschland ausgebildeten orthodoxen Rabbiner nach 1938.

Kategorie: Ausstellung

Schlagwort: digitale führung