Raum 3 – Verspotten

13.09.2021 Team LWL-Preußenmuseum

Grafik zum Raumthema Spotten

Raumtext

Wo gehen Abgrenzung, Ausgrenzung, Anfeindung ineinander über?

Oft reicht ein Spruch oder die wiederholte Behauptung, eine Gruppe habe bestimmte Merkmale, Eigenschaften oder Arten zu Denken und zu Fühlen, um Gedankenbilder zu wecken. Antijüdische Vorurteile bildeten sich über Jahrhunderte hinweg in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsformen und über Staatsgrenzen hinweg. Oft waren das religiöse, wirtschaftliche oder rassistische Gegenbilder, die die eigene Gruppe aufwerten sollten. Sie haben mit Jüdinnen und Juden an sich zunächst nichts zu tun, sondern sagen vor allem etwas über diejenigen, die spotten und verspotten. Betätigten sich Jüdinnen und Juden zum Beispiel im Finanzwesen, weil ihnen der Staat verbot in anderen Berufsfeldern zu arbeiten, so trug ihnen das den Vorwurf von Wucherei und Vorteilsnahme ein.

Die immer wieder aufs Neue verwendeten Bilder haben sich über Jahrhunderte so stark verfestigt, dass weder die Assimilation, noch die Integration, noch der tiefe Einschnitt der Shoah – also der Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus – sie entkräften konnten. Überlieferte Zerrbilder wirken bis heute. •

„Antisemitenkrug“, um 1910, Entwurf: Josef Peter Dümler, Vertrieb: Joh. Korzilius, Köln, Steingut mit Zinnmontierung, LWL-Preußenmuseum Minden, Inv. Nr. Mi-036-2001.

Antisemitenkrug

Der „Antisemitenkrug“ ist ein markantes Beispiel für eine Vielzahl an Produkten dieser Art. Wurden vorher antijüdische Klischees nur vereinzelt in Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern oder Handwerkerinnen und Handwerkern verbreitet, so geschah dies seit dem 19. Jahrhundert mit gewerblichem Interesse als Massenware. In zahlreichen gestalterischen Varianten finden sich Krüge, figürliche Darstellungen, Spazier- und Wanderstöcke und grafische Abbildungen in jeglicher Form. Das Text- und Bildprogramm des Kruges vereint zahlreiche klassische Aspekte aggressiver Judenfeindschaft. Sie werden mit den Porträts führender Vertreter des politischen und schriftstellerischen Antisemitismus um 1900 verknüpft, die auf dem Deckel des Kruges dargestellt sind. Mit der christlich-sozialen Bewegung Adolf Stoeckers gründete sich erstmalig eine politische Partei, die gezielt traditionelle religiöse, moderne wirtschaftliche und völkischrassische Stereotype gegen das Judentum für ihre Zwecke einsetzte. Gewerbliche Anbieter bedienten die Nachfrage nach antijüdischen Artikeln mit unterschiedlichsten Alltagsdingen wie Krügen, Skulpturen und Druckwerken.

Detail: „Antisemitenkrug“, um 1910, Entwurf: Josef Peter Dümler, Vertrieb: Joh. Korzilius, Köln, Steingut mit Zinnmontierung, LWL-Preußenmuseum Minden, Inv. Nr. Mi-036-2001.
Bilderbogen, kolorierter Kupferstich, Nürnberg um 1835, Originalblatt 42 × 33 cm, Verlag G. N. Renner u. Schuster, LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster, Inv. Nr. SK 227 LM.

Bilderbogen

Die Darstellungen zeigen Juden als Vieh- und Altwarenhändler. Dagegen stehen Bilder, die das Bemühen um eine bürgerliche Erscheinung präsentieren. Dabei werden vermeintlich typische jüdische Wesenszüge dargestellt: Beim Handeln Vorteile zu ergaunern, um Preise und Werte zu schachern und ein nachlässiges äußeres Erscheinungsbild. Die Bilderbogen hatten im Biedermeier (um 1830) eine weite Verbreitung und sollten der Unterhaltung dienen. Ihre Bilder prägten über Generationen die Vorstellungen breiter Bevölkerungsschichten von Ereignissen, Personen und Zusammenhängen. Sie bereiteten damit auch den Weg für antisemitische bildliche Stereotype. Im Unterschied zu antijüdischen Bildern und Vorstellungen gehen die antisemitischen Vorurteile über die Religion hinaus und bauen ein rassistisches Feinbild auf.

Bilderbogen, kolorierter Kupferstich, Nürnberg um 1835, Originalblatt 42 × 33 cm, Verlag G. N. Renner u. Schuster, LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster, Inv. Nr. SK 226 LM.
Darf ein Jude Mitglied einer Obrigkeit sein, die über christliche Unterthanen gesetzt ist? Ein freundliches, schlichtes Wort zu dem deutschen Bürger und Landmann gesprochen von Treumund Wahrlieb, Kreisarchiv Minden.

„Darf ein Jude Mitglied einer Obrigkeit sein,

die über christliche Unterthanen gesetzt ist?“

Hinter dem Autorenpseudonym verbarg sich Heinrich Eugen Marcard, ein früher Vertreter des politischen Antisemitismus in Deutschland. Seit 1855 war Marcard mit Unterbrechungen Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses für Lübbecke-Herford und seit 1877 Reichstagsabgeordneter. Während seiner Dienstzeit als Garnisons-Auditeur in Minden zettelte er durch Flugblätter und Aktionen antisemitische Krawalle an. Er wandte sich gegen jede Art bürgerlicher Gleichstellung für Jüdinnen und Juden.

„Gegen völkisches Gift!“. Inserat des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ortgruppe Minden, Mindener Tageblatt, 6. Dezember 1924, LWL-Preußenmuseum Minden, Inv.Nr. Mi-S-002-2022, Reproduktion LWL/Bekemeier.

„Gegen völkisches Gift!“

Inserat des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ortgruppe Minden, Mindener Tageblatt, 6. Dezember 1924.

Der Centralverein gründete sich 1893 in Berlin. Er trat als selbstbewusste Interessenvertretung für die Wahrung der Rechtsgleichheit deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ein und verstand sich als aktive Gegenbewegung zu antisemitischen Strömungen. Er bekannte sich zur deutschen Nation und lehnte zionistische Bestrebungen für eine eigene jüdische Staatsbildung ab. Seine Mitglieder gehörten zum Großteil dem jüdischen Bildungsbürgertum und der Mittelschicht an.

 

„Gegen völkisches Gift!“. Inserat des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ortgruppe Minden, Mindener Tageblatt, 6. Dezember 1924, LWL-Preußenmuseum Minden, Inv.Nr. Mi-S-002-2022, Reproduktion LWL/Bekemeier.

Nathan Michelsohn aus der weit verzweigten Unternehmerfamilie in Hausberge war Vorstandsmitglied der Mindener Ortsgruppe des Centralvereins. Er war zudem Mitglied des Stadtrats, der Deutschen Demokratischen Partei und des jüdischen Kulturbundes. Durch aufklärende Zeitungsinserate, Vorträge und Berichte versuchte der Centralverein bis zum Verbot 1938 aktiv Aufklärungsarbeit und Widerstand gegen Verleumdung und antisemitische Hetze zu leisten.

„Gegen völkisches Gift!“. Inserat des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ortgruppe Minden, Mindener Tageblatt, 6. Dezember 1924, LWL-Preußenmuseum Minden, Inv.Nr. Mi-S-002-2022, Reproduktion LWL/Bekemeier.

Kategorie: Ausstellung

Schlagwort: digitale führung