Warum Museum mehr sein kann und muss

23.05.2022 Gastautor

Filmstil: Bunte Fußspuren auf einem weißen runden Stück Papier

„Tanz doch in der Sonderausstellung!“ – Ich, tanzen, noch dazu in einer Sonderausstellung? Was für eine abwegige Idee! – Zumindest beim ersten Hören.
Je länger ich die Idee jedoch mit mir herumtrug, desto passender, spannender und kreativer erschien sie mir, um die von mir im Rahmen meines Studiums geforderte Reflexion über ein mögliches bundesweites SiMMiS-Netzwerk im Zusammenspiel von Tanz, Farbe und Wort darzustellen: Die Sonderausstellung bietet einerseits durch ihre Konzeption, die einzelnen Themen mit unterschiedlichen Verben und verschiedenfarbigen Räumen zu verknüpfen, einen guten Rahmen, um den Prozess der Kooperation von LWL-Preußenmuseum und Ratsgymnasium zu verkörpern. Dass ich als Lehrer im Museum tanze, gibt andererseits die Kooperationsidee von „Schule im Museum – Museum in der Schule“ (SiMMiS) gelungen wieder.
Das Projekt SiMMiS fußt auf der Vision der kulturellen Bildung, dass jede Person an der Kultur im Sinne von kultureller Vielfalt teilnehmen darf und soll. Dieser Anspruch kann durch ein Miteinander statt Beieinander von Kulturinstitution und Schule leichter umgesetzt werden, da so alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden können. Das Miteinander versteht sich als sog. Kooperativität und nicht als bloße Zusammenarbeit, denn über eine Kooperativität als Haltung verschwimmen die Grenzen beider Orte und Institutionen: Ich bewege mich als Tänzer – der eigentlich gar nicht tanzen kann! – an einem mir grundsätzlich bekannten Ort, der aber zugleich nicht mein übliches Handlungsfeld darstellt. In der kreativen Planung und vor allem der Durchführung der Bewegung-Farb-Text-Performance verschwamm meine Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Institution bzw. dem ein oder anderen Ort.

Diese Möglichkeit zu haben, fußt auf eben dieser Kooperativität, die zwischen den beiden Häusern besteht, aber nicht „einfach so“ entstand oder entstehen konnte. Im Ankommen muss sich kennengelernt, „beschnuppert“ werden. Mit Enthusiasmus spinnt man erste Ideen, optimiert bestehende Projekte. Nach der erste Euphorie muss man kämpfen: gegen die Zeit, gegen andere Aufgaben, gegen Ausfall von Mitarbeiter:innen; also für die Kooperation. Schließlich lernen wir, was Kooperation für uns bedeutet und bedeuten soll, was das jeweils andere System ausmacht und welche Grenzen es hat, was wir und unsere Partner:innen leisten können und wollen. Zielführend und antreibend ist jedoch das Reden genau über dieses Gelernte. Im Austausch über Erwartungen, Erfahrungen, Unangenehmes, zu Kritisierendes, Gescheitertes und genauso Gelungenes und Erfreuliches hebt sich eine Kooperation über die reine zielorientierte Zusammenarbeit hinaus. Erst dadurch kann man polarisieren – sowohl innerhalb der eigenen Zusammenarbeit, als auch nach Außen –, was zur Vertiefung, Erweiterung und reflektierten Fortführung der Kooperation in Kooperativität führt. Letztendlich bleibt dann immer zu hoffen, dass gemeinsame Ideen, Projekte und Teamarbeit sich in diesem Vorgehen spiralförmig weiter nach oben schrauben.

Allgemeiner formuliert, bedeutet dies, dass Museum und Schule, um zukunftsorientiert zu sein, nicht mehr nur ein eigenes oder fremdes Lernraumangebot schaffen dürfen, sondern jeder Person eine echte Auseinandersetzung ermöglichen müssen. Museum und Schule sollten entsprechend nicht als geschlossene Orte gedacht werden: Das Museum ist kein geschlossener Ort der Kultur und die Schule kein geschlossener Ort der Bildung. Die „Verschulung“ von an sich in der (Um-)Welt wahrnehmbaren Phänomenen ist ebenso hinderlich wie eine Kulturvermittlung, die als Einbahnstraße von der Kulturinstitution in Richtung Schule läuft.
So ist die Sonderausstellung „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ nicht nur ein Bildungsangebot, das passiv und rezeptiv wahrgenommen werden kann. Wie ich selbst bei meinen Tanzversuchen und im Entstehungsprozess der Performance spürte, können Museum und Ausstellungsraum mehr, wenn sie anders benutzt werden (dürfen). Sie ermöglichen beispielsweise: Spüren der Kälte und Oberfläche von Stein, Wahrnehmen und Deuten von Farbe, Nachdenken über einzelne Verben, Reflektieren über Prozesse abseits des Ausstellungskontextes, Erkennen der eigenen Grenzen und Herantasten an diese, (ästhetisches) Erfahren seiner selbst im Zusammenspiel mit anderen, …
Wenn mit der räumlichen Öffnung von Schule und Museum auch eine Öffnung der Einstellung einhergeht, so dass das Museum nicht als Dienstleister und die Schule nicht als Abnehmer verstanden werden, dann können Kinder, Jugendliche und eben auch Mitarbeiter:innen Erfahrungen der nicht alltäglichen und ganz bestimmt nicht dem Ort vermeintlich „angemessenen“ Art machen. Notwendig dazu ist die Entwicklung von Kooperationen auf Augenhöhe, so dass Zusammenarbeit im gleichberechtigten Beisammen und Agieren aller Teilnehmenden sowie in der Entstehung eines „Dritten Ortes“ mündet. Diese Haltung macht den Tanz einer nichttanzenden Lehrkraft möglich, die am Ende sagt: Ich tanz doch in der Sonderausstellung!

// Text: Tobias Oder


Collage von Film Stills

Kategorien: Ausstellung · Kontext

Schlagworte: kontext · farben · gastbeitrag · raumkonzept · preussenmusum · vermittlung