Raum 9 – Streiten

25.07.2021 Team LWL-Preußenmuseum

Grafik zum Raumthema Streiten

Raumtext

Lohnt es sich zu streiten und wenn ja, für was?

Die jüdische Aufklärungsbewegung (hebräisch Haskala) stritt für gleichberechtigte Teilhabe am preußischen Staat und seiner Gesellschaft, die Erlangung der Bürgerrechte, für Religionsfreiheit und Zugang zu Bildung. Über Vereine, Schulen und Verlage wollte die Haskala – wie auch die gesamte Aufklärungsbewegung in Europa im 18. und 19. Jahrhundert – ihre Gedanken und neuen Ideen verbreiten. Diskutiert wurde in Privatsalons, Lehranstalten und öffentlichen Räumen wie Cafés und Vereinslokalen. Sie waren Orte des Austauschs und der Verflechtung von Juden und Nicht-Juden, von Männern und Frauen sowie von Bürgerlichen und Adligen. •

Daniel Berger und Johann Michael Siegfried Lowe, Porträt von Hartwig Wessely, Kupferstich von 1791, 21 × 13,1 cm, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Sign. P 23 W 25.

Hartwig Wessely

Mit Büchern beginnt die Aufklärung, so auch die jüdische Haskala. Hartwig Wessely (1725–1805) war einer der wichtigsten jüdischen Denker und Aufklärer des 18. Jahrhunderts. In Hamburg erhielt er eine traditionelle religiöse Ausbildung u.a. bei Rabbiner Jonathan Eybeschütz, hatte jedoch auch Unterricht in Fremdsprachen und Naturwissenschaften. Er lehrte in Hamburg, Kopenhagen, Amsterdam sowie in Berlin und veröffentlichte zahlreiche Schriften. Zu seinen wichtigsten Projekten zählt die Reform des jüdischen Schulwesens.
Wessely plädierte für die Einführung naturwissenschaftlicher Fächer neben der traditionellen religiösen Bildung. Er schrieb fast ausschließlich auf Hebräisch und wurde zum Wegbereiter des modernen Hebräisch des 19. Jahrhunderts. Wessely gehörte zu dem Kreis von Gelehrten um Moses Mendelssohn in Berlin und arbeitete u.a. an dessen Thoraprojekt mit, einem Kommentar zum dritten Buch Moses, der 1783 erschien. Wie andere Vertreter der jüdischen Aufklärung geriet auch Wessely oft in Konflikt mit Vertretern der Orthodoxie.

J. F. Bause und Anton Graff, Porträt von Moses Mendelssohn, Kupferstich von 1772, 29,5 × 21,5 cm, LWL-Preußenmuseum Minden, Inv. Nr. Mi-G-010-1998.

Moses Mendelssohn

Moses Mendelssohn (1729–1786) erhielt eine klassische Rabbinatsausbildung und studierte Talmud und Thora, brachte sich sein umfangreiches Wissen aber ansonsten selbst bei. Er zählt zu  den wichtigsten Vertretern der jüdischen Aufklärung und setzte sich für Vernunft und Toleranz in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft ein.

„Uebrigens bin ich nie auf einer Universität gewesen, habe auch in meinem Leben kein Collegium lesen hören. Dieses war eine der grösten Schwierigkeiten, die ich übernommen hatte, indeme ich alles durch Anstrengung und eigenen Fleiß erzwingen mußte.”

Christian Schule und Franz Karl Tielker, Porträt von Israel Jacobson, Kupferstich von 1808, 18,9 × 11,7 cm, Steinheim-Institut/Gidal-Bildarchiv.

Israel Jacobson

Israel Jacobson (1768–1828) war einer der Begründer des Reformjudentums in Deutschland. Im Selbststudium hatte er sich mit den Schriften Moses Mendelssohns und den Gedanken der jüdischen Aufklärung beschäftigt. 1810 errichtete er in Seesen die erste Reformsynagoge und führte den deutschsprachigen Gottesdienst sowie die Orgel ein, wofür er von orthodoxen Vertretern stark angefeindet wurde. Auch in Berlin gründete er eine Reformsynagoge, die jedoch 1823 durch einen Kabinettsbeschluss des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. wieder  verboten wurde. Jacobson setzte sich für die rechtliche Gleichstellung der Jüdinnen und Juden und das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Glaubensrichtungen ein.

Mausoleum der Familie M.W. Michelsohn auf dem jüdischen Friedhof Hausberge, errichtet um 1912/13, Fotografie von 2021.

Familie M. W. Michelsohn

Die Geschichte der weitverzweigten Großfamilie Michelsohn in Hausberge umspannt den Zeitraum von 1788 bis 1936. Die Michelsohns bauten eine Synagoge, entwickelten die jüdische Gemeinde, waren Stadtverordnete, Gemeindevorsteher, Magistratsmitglieder, engagierten sich in politischen Parteien, im Krieger- und Schützenverein und jüdischen Kulturinstitutionen. Ihr wirtschaftliches Engagement konzentrierte sich auf ein Steinbruchunternehmen, eine Kies- und Sandbaggerei, eine Baugesellschaft und kurzzeitig auf ein Chemieunternehmen. Der gesellschaftliche Aufstieg der Familie Michelsohn steht hier beispielhaft für die vielen jüdischen Unternehmer- und bildungsbürgerlichen Familien, die sich infolge der innerjüdischen Diskussionen um Emanzipation und Assimilation auf die unterschiedlichsten Formen der Verflechtung und Beziehung mit der (preußischen) Mehrheitsgesellschaft einließen.

Kategorie: Ausstellung

Schlagwort: digitale führung