Raum 6 – Lernen

20.08.2021 Team LWL-Preußenmuseum

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Raumtext

Wieder was gelernt?

Das Streben nach Bildung und selbstverantwortlichem Handeln war ein wichtiger Motor für die preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dabei wandelte sich Preußen innerhalb weniger Jahrzehnte von einem absolutistischen Staat zu einem Industriestaat. Einer der wichtigsten Bildungsreformer war Wilhelm von Humboldt, der zentrale Neuerungen wie die staatliche Aufsicht über alle Schulen, die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht sowie einheitliche Lehrpläne einführte. Über den Eintritt in den preußischen Staatsdienst sollte nicht mehr Herkunft und Stand entscheiden, sondern Leistung und Bildung.

An diesen Neuerungen konnten Jüdinnen und Juden jedoch nur eingeschränkt teilhaben, und das obwohl sie seit 1812 dem Gesetz nach die gleichen Bürgerrechte hatten. Der Zugang zu Bildung und vielen Berufen war immer noch nicht frei, deshalb kam dem jüdischen Bildungswesen eine große Bedeutung zu. Solange der Zugang zu staatlichen Einrichtungen versperrt war, waren die Schulen der jüdischen Gemeinden der erste Zugang zur Bildung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten sich jüdische Schulen im Lehrplan immer mehr an den staatlichen Schulen ausrichten, gleichzeitig öffneten sich Gymnasien, höhere Lehranstalten und Universitäten zunehmend jüdischen  Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden. Dadurch wurde ihnen mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. •

Caspar Görke, Porträt von Richard, Helene und Otto Loeb, 1851, Öl auf Leinwand, 21,4 × 26,7 cm, LWL-Museum für Kunst und Kultur Münster, Inv. Nr. 1642.

Richard, Helene und Otto Loeb

Sophie Loeb rang mit ihrem Vater um die Frage, ob ihre drei hier porträtierten Kinder getauft werden sollten oder nicht. Viele Jüdinnen und Juden diskutierten im 19. Jahrhundert die Frage, ob ein Übertritt zum protestantischen Glauben die gesellschaftliche Zugehörigkeit in Preußen erleichtern würde. Der Großvater der Kinder, Alexander Haindorf, war strikt gegen den Religionswechsel zum Christentum. Erst nach seinem Tod ließen sich die drei taufen. In ihrem Tagebuch schrieb Sophie 1863 mit Blick auf die Zukunft ihrer Kinder hoffnungsvoll: „Wie ich so oft zu Gott gebetet, möge es für Helene nun in Erfüllung gehen, daß im späteren Leben sie mehr inneren Halt, die Beruhigung des Glaubens findet, und auch äußerlich in eine Gemeinschaft der Kirche gehört, wo ihr Gemüt sie zu hinzieht, was für mich in meinem ganzen Leben der Zwiespalt war.“1

 

1 Aus dem Tagebuch von Sophie Loeb, zit. nach Susanne Freund: Sophie Haindorf – Ein jüdisches Frauenleben, in: Antje Flüchter-Sheryari/Maria Perrefort (Hg.), Die vergessene Geschichte. 775 Jahre Frauenleben in Hamm, Hamm 2002, S. 233.

Jakob Loewenberg im Kreis seiner Familie, Leo Baeck Institute New York.

Jakob Loewenberg

Jakob Loewenberg (1856–1929) wurde in Niederntudorf in der preußischen Provinz Westfalen geboren. Er beschloss schon sehr früh, sich zum Lehrer und Vorbeter am Seminar der Marks-Haindorf-Stiftung in Münster ausbilden zu lassen. Es folgten weitere pädagogische Ausbildungsstationen, ein Hochschulstudium und schließlich die Promotion 1886 an der Universität Marburg sowie der Umzug nach Hamburg. Dort unterrichtete Loewenberg an einer Realschule der Evangelisch-Reformierten Gemeinde, wobei ihm die „Gesinnungsfächer“ Deutsch und Geschichte verwehrt blieben. 1892 übernahm er als Leiter eine private jüdische Höhere Töchterschule, die er zu einer Reformanstalt im Sinne der Kunsterziehungsbewegung weiterentwickelte. 1912 erhielt sie die staatliche Anerkennung und den Titel „Anerkannte Höhere Mädchenschule Lyzeum von Dr. J. Loewenberg“.

 

Postkarte „Höhere Mädchenschule von Dr. J. Loewenberg. Hamburg. Johnsallee 33.“, 23. Dezember 1922, 14 × 9 cm, Lichtdruck, Karton, Jüdisches Museum Berlin, Inv. Nr. 2000/222/12. Schenkung von Toni Vera Cordier.

Reformschule

Die Reformschule von Jakob Loewenberg war bis zu ihrer Schließung 1931 im Hamburger Grindelviertel untergebracht. In diesem Stadtviertel lebte ein Großteil der Hamburger Jüdinnen und Juden. Dort befanden sich Synagogen, Schulen, Geschäfte und jüdische Vereine.

 

Schülerinnen der sogenannten Loewenbergschule in Hamburg, eine private Höhere Mädchenschule, Fotografie aus den 1920er-Jahren, Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Archiv und Bibliothek) Hamburg. Sign. 21-015/355.

 

 

Buchcover, Aus zwei Quellen: die Geschichte eines deutschen Juden. Roman von Jakob Loewenberg, Berlin 1914, 19,3 × 13,5 cm, LWL-Preußenmuseum Minden.

Jakob Loewenberg: Aus zwei Quellen

Die Geschichte eines deutschen Juden

Jakob Loewenberg veröffentlichte neben seiner Tätigkeit als Reformpädagoge Gedichte, Romane, Lieder und Reden, die einen patriotischen Ton anschlugen, so zum Beispiel die  Gedächtnisrede auf Friedrich III." von 1888. Er bezeichnete sich im Untertitel seines autobiografischen Romans „Aus zwei Quellen“ als „deutscher Jude“. Loewenberg berichtet über seinen Lebensweg als Pädagoge und schildert dabei auch eindringlich den Alltags-Antisemitismus des Kaiserreichs.

 

Kategorie: Ausstellung

Schlagwort: digitale führung