Gelb

09.02.2022 Gastautorin

Foto: Blick in den ausstellungsraum "Spotten" mit einem kleinen weißen Stuhl in einem gelben Lichtkreis

Blau, Rot, Lila, Grün – ein Lichtkegel, eine leuchtende Farbe pro Ausstellungsraum: Die Ausstellung „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ ist bunt, der Korridor erstrahlt in allen Farben des Regenbogens. Von diesem Korridor ab, im zweiten Raum rechts, treten die Besuchenden in einen Kreis aus satt gelbem Licht. Gelb, eine schöne Farbe: In der aktuellen Farbpsychologie für Marketing und Werbung charakterisiert man sie als „optimistisch und dynamisch“. Sie verbreite, so heißt es „gute Laune und liefert Energie.“1 „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ erzählt jüdisch-preußische/ preußisch-jüdische Beziehungsgeschichte wohltuend und überraschend bunt und gut gelaunt. Gelb ist in dieser Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte allerdings nur auf höchst unangenehme Weise – nämlich über das „Verächtlich-“ und „sich Lustig-“ machen mit „guter Laune“ verknüpft: Und so ist auch „Verspotten“ das Verb, das den Raum in der Ausstellung übertitelt. Die anderen Räume stellen mit „Hoffen“, „Lernen“, „Beten“, „Kämpfen“ und weiteren Begriffen jüdische Preuß:innen als Akteur:innen vor. Beim „Verspotten“ sind andere in Aktion: Antisemitischer Spott ist ein Mittel um Juden und Jüdinnen als „Andere“ zu markieren, um sie auszuschließen aus dem „Wir“ – aus einer vorgestellten „eigenen“ (preußisch, deutsch, arisch o.a. definierten) Gemeinschaft. In diesem Raum geht es also um Ausschlüsse in der jüdisch-preußischen Beziehungsgeschichte, um die Kennzeichnung und Diffamierung von jüdischen Preuß:innen.

Die Farbe Gelb hat eine lange antisemitische Tradition. Sie wurde jahrhundertelang genutzt um Juden und Jüdinnen visuell als „Anders“ und „Fremd“ zu markieren. In der mittelalterlichen Symbolik war die Farbe Gelb mit sehr anderen Zuschreibungen verbunden als in der heutigen Werbepsychologie: Gelb stand für Ekel, Krankheit und Schande. War Gelb schon im frühesten Mittelalter im arabischen Raum zur Kennzeichnung von Juden und Jüdinnen genutzt worden, zwangen ab 1067 auch in verschiedenen christlichen Regionen Verordnungen die jüdisch gläubigen Menschen dazu, eine gelbe Markierung wie ein Band oder einen Flicken auf der Kleidung zu tragen. 1215 forderte schließlich der Papst die sichtbare Kennzeichnung jüdischer Menschen. Mit gelben, roten oder rot-weißen Flecken, Ringen oder Kopfbedeckungen mussten sich Jüdinnen und Juden nun in ganz Europa als „Andere“ erkennbar machen. Insbesondere der gelbe Fleck war schließlich in der frühen Neuzeit weit verbreitet. In Preußen wurde erst 1790 die Kennzeichnungspflicht aufgehoben. Die Nationalsozialist:innen griffen auf diese alte Tradition zurück, als sie 1941 die Verpflichtung einführten, einen gelben Stern auf der Kleidung zu tragen.2

Die heutige Marketingwelt ist sich zwar einer historischen Verbindung der gelben Farbe zu negativen Begriffen wie Feigheit oder Krankheit bewusst, dies wird jedoch vorwiegend auf die Signalwirkung der Farbe bezogen, die auch Gefahr signalisieren könne und somit in der Werbung Aufmerksamkeit verspreche.3 Gefahr sollte wohl auch die Kennzeichnung der Juden und Jüdinnen signalisieren. Als überaus gefährlich erwiesen sich allerdings über Jahrhunderte einzig die Protagonist:innen der Judenfeindschaft: Die Akteur:innen von spottendem und/oder körperlich gewaltvollem bis hin zu mörderischem Antisemitismus, die auch Preußens Alltagskultur prägten. Trotz der Anerkennung der Staatsbürgerschaft für Jüdinnen und Juden war diese Kultur tief von antijüdischen Ressentiments, Ausschlüssen und Handlungen durchzogen.4

So wie die Bedeutung der Farbe Gelb nicht „einfach gegeben“, sondern kulturell hergestellt und veränderlich ist (also 1450 mit anderem Zuschreibungen verknüpft war, als 1964 oder 2021), ist Judenfeindschaft nichts, was einfach so da oder „einfach gegeben“ ist. Jüdische Menschen als „anders“, „fremd“, „lächerlich“ oder schlimmeres zu kennzeichnen und zu diffamieren, ist immer das Ergebnis von Handlungen konkreter Personen. Die Gleichstellung der Juden wurde in Preußen aktiv bekämpft. Ab den 1870er Jahren gewann ein neuer, auf Rassetheorien begründeter politischer Antisemitismus an Einfluss. 

Liebesbriefe mit antisemitischen Briefverschlussmarken | © Deutsches Historisches Museum

Akteur:innen der antijüdischen Ausschlusspraxis waren aber keinesfalls nur unter politisch einflussreichen Personen zu finden. Im Kaiserreich fanden antisemitische Spottbilder und Aufkleber z.B. mit der Losung „Kauft nicht beim Juden“ weite Verbreitung im öffentlichen und privaten Raum und waren Teil des Alltagshandelns großer Teile der Bevölkerung: Briefe und Postkarten wurden häufig mit Aufklebern mit antijüdischen Sprüchen und Zitaten versehen.5

Über das Versenden und Austauschen von Witzpostkarten mit antijüdischen Bildmotiven stigmatisierten Absender:innen aus der bürgerlichen Mittelschicht oft quasi nebenbei (die geschriebenen Botschaften hatten häufig keinen Bezug zu den Bildern) Juden und Jüdinnen als hässliche, lachhafte „Andere“ und verbreiteten antijüdische Diffamierungen wie Gier, Fettleibigkeit oder körperliche Zuschreibungen wie die Vorstellung von einer spezifisch „jüdischen Nase“.6 Die eigene Gruppe wertete man über solche Herabsetzungen, die Jüdinnen und Juden  als vermeintliche Fremdgruppe ausschlossen, zugleich als schön, ernst und ehrenvoll auf.

Auch Alltagsdinge wie Spazierstöcke oder Bierkrüge, die ab Ende des 19. Jahrhunderts auch in Preußen zu Massenware avancierten, „verzierten“ Hersteller mit antijüdischen Motiven. Ein solcher Krug mit aggressiven antisemitischen Darstellungen steht heute im gelben Raum der Mindener Ausstellung. Ganz genau sind die Handlungspraktiken, die mit Gegenständen wie ihm historisch verbunden waren, bisher kaum erforscht. Es ist allerdings bekannt, dass insbesondere Vereinslokale und andere gesellige Orte wie Stammtischrunden als Multiplikatoren antisemitischer Gesinnung fungierten. Ob in Geselligkeit oder im Privaten, ob aus den Krügen getrunken wurde oder sie in der Kneipe als „Ziergegenstände“ zur Belustigung dienten: In jedem Fall waren sie Teil der Herstellung, Aktualisierung und Verbreitung antisemitischer Vorstellungen und Teil antijüdischer Alltagspraxis.

Im Ausstellungsraum wird zudem eindrücklich inszeniert, dass mit Dingen wie dem Krug die antijüdischen Vorstellungsbilder aus dem Kaiserreich bis heute im Internet präsent gehalten sind. Hinter dem Exponat sind zahlreiche Ausschnitte von Internetseiten an die Wand geworfen worden: Sowohl Kulturinstitutionen als auch Händler und Auktionshäuser präsentieren Gegenstände mit antisemitischen Botschaften im Web. Die Wand wirft damit viele wichtige Fragen über heutige Alltagspraktiken auf.

Der gelbe Raum in Minden hat also primär die im Blick, die Juden und Jüdinnen in Preußen aktiv aus der national, religiös oder rassistisch definierten Gemeinschaft ausschließen wollten und wirft zugleich Fragen nach den Verstrickungen unserer heutigen Kultur mit dieser Geschichte und antisemitischen Ressentiments auf. Meine Überlegungen möchte ich hier er aber mit einem Hinweis auf andere Akteur:innen im historischen Minden beenden: Neben den Judenfeind:innen gab es überall in Preußen auch eine aktive Gegenwehr gegen Antisemitismus. Juden, Jüdinnen aber auch nicht-jüdische Menschen traten im Kaiserreich vielerorts entschlossen der antisemitischen Agitation entgegen.

Klebezettel des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, um 1900 | © Deutsches Historisches Museum

Zu nennen sind hier vor allem die Mitglieder des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ und des „Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Letzterer hatte auch eine agile Ortsgruppe in Minden, deren Vorsitzender Nathan Michelsohn sich jahrzehntelang gegen antijüdische Hetze in der Region engagierte. Sein Sohn Otto Michelsohn wehrte sich nach dem 1. Weltkrieg als Mitglied des "Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten" ebenfalls gegen antisemitische Verleumdungen, die stark von Militär- und Marinepfarrern getragen wurden.7

In „Jüdisch? Preußisch? Oder was?“ finden Sie die Familie Michelsohn jenseits vom „Gelb“: Nicht als Verspottete, sondern unter dem Raumtitel „Streiten“. Mehr verrate ich hier aber noch nicht. Also, schnell hin, ins LWL-Preußenmuseum, und die Geschichte dieser und anderer preußisch-jüdischer/jüdisch-preußischer Streiter:innen entdecken!

// Text: Dr. Maren Jung-Diestelmeier
 



1 Vgl.: https://www.allbranded.de/Blog/Gelb-im-Marketing/ [17.12.2021].
2 Vgl.: Marion Neiss, Kennzeichnung, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft, Geschichte und Gegenwart, Berlin; New York, 2010, S. 174-175; Konstantin Schuchardt (29.08.2016), Wieso, weshalb, warum. Gelb. Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums, Jüdische Allgemeine. https://www.juedische-allgemeine.de/religion/gelb/ [17.12.2021].
3 Vgl.: https://www.allbranded.de/Blog/Gelb-im-Marketing/ [17.12.2021].
4 Vgl.: z.B.: Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, München 2002.
5 Vgl.: Isabel Enzenbach; NS-Dokumentationszentrum München (Hg.), Angezettelt: antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute, Berlin 2017.
6 Vgl.: Helmut Gold; Fritz Backhaus (Hg.), Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten. Heidelberg 1999.
7 Kristan Kossack, Der Widerstand Mindener Juden gegen die NS-Herrschaft. Erinnern an Otto Michelsohn und Max Ingberg, in: Westfälische Zeitschrift - Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 158 2008, S. 351-364.

Kurzvita Dr. Maren Jung-Diestelmeier

Dr. Maren Jung-Diestelmeier ist wissenschaftliche Referentin der Direktion der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. In dieser Funktion kuratierte sie zuletzt die Ausstellung „BRUCHSTÜCKE ´45. Von NS-Gewalt, Befreiungen und Umbrüchen in Brandenburg“. Sie koordinierte dabei Kurator*innenteams aus fünf Gedenkstätten, die das Projekt gemeinsam erarbeiteten. Aktuell bereitet sie gemeinsam mit der Leitung einen umfassenden Prozess der Ausstellungsüberarbeitung in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen vor. Zuvor arbeitete Frau Jung-Diestelmeier als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin zur Frage nach Strategien des musealen Umgangs mit antisemitischen und rassistischen Bildern. Als Dozentin und freiberufliche Kuratorin erarbeitete sie – teils gemeinsam mit Studierenden – unter anderem Ausstellungen für das Museum Pankow. Jung-Diestelmeiers Dissertation „Das verkehrte England – Visuelle Stereotype auf Postkarten und deutsche Selbstbilder 1899-1918“ erhielt den Promotionspreis des Arbeitskreises Großbritannien-Forschung. Von 2014 bis 2017 war Jung-Diestelmeier Mitglied des Kurator*innenteams von „`Angezettelt´. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“.

Kategorien: Ausstellung · Kontext

Schlagworte: kontext · digitale führung · farben · gastbeitrag