Die Verständnis-Hütte

18.10.2021 Team LWL-Preußenmuseum

Nanu? Haben Sie schon die kleine hölzerne Hütte auf dem Parkplatz hinterm LWL-Preußenmuseum gesehen und sich gefragt, was es damit wohl auf sich hat? Wir haben Sukkot gefeiert! Angefangen beim Aufbau der Laubhütte (hebräisch Sukka) über Gesprächsrunden bis hin zu einem spontanen Picknick – die Tage vom 20. bis 27. September standen bei uns ganz im Namen eines der wichtigsten Feste für Menschen jüdischen Glaubens. Eine Woche dauert es und beginnt fünf Tage nach Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, den wir auch unter dem Namen Versöhnungsfest kennen.

Sukkot XXL – ein bundesweites Festival, initiiert vom Verein 321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V. – hat Kultureinrichtungen und jüdische Gemeinden in ganz Deutschland dazu aufgerufen, eine Sukka im öffentlichen Raum zu errichten. Mehr als 30 Institutionen haben sich daran beteiligt. Die Laubhütten wurden dabei zum Begegnungsort – auch hier bei uns am LWL-Preußenmuseum! Wir freuen uns über mehr als 100 Besucherinnen und Besucher von der Kita bis hin zu flanierenden Spaziergängerinnen und Spaziergängern, die in unserer Sukka Platz genommen, Pause gemacht oder gemeinsam gegessen haben und miteinander ins Gespräch gekommen sind.

Der Austausch ist es auch, was unserem Museumsteam besonders wichtig ist, denn Ziel des Projektes ist es, auf öffentliches jüdisches Leben in Deutschland aufmerksam zu machen. „Mit der Laubhütte haben wir versucht, einen Raum zu öffnen, der gleichzeitig sicher ist und viele Möglichkeiten zum Austausch bereithält. Gleiches versuchen wir eben auch in unserer neuen Sonderausstellung. Wir wollen nicht beantworten, was jüdisch oder was preußisch ist, sondern wir möchten gemeinsam mit unseren Besucherinnen und Besuchern darüber nachdenken“, betont unsere Museumsleiterin Dr. Sylvia Necker.

Die Laubhütte mutet auf den ersten Blick etwas provisorisch an – eher rustikal und zugig, nicht die klassische Feierlocation, wie wir sie vielleicht sonst kennen. Die Sukka ist jedoch nicht ohne Grund so konstruiert. Sie erinnert an die alttestamentarische Zeit, in der Jüdinnen und Juden keine feste Heimat hatten und durch die ägyptische Wüste zogen. Abrahams Reise ins gelobte Land, die 40-jährige Flucht aus Ägypten und die damit verbundenen Einschränkungen, Schutzlosigkeit und Unsicherheiten – all das symbolisiert die kleine provisorische Holzkonstruktion hinter dem Museum. Während viele andere Institutionen und Kultureinrichtungen auf fertige Bausätze zurückgegriffen haben, ist unsere Sukka jedoch eine Eigenkonstruktion.

Und so eine Konstruktion ist gar nicht mal so einfach, denn es gibt einige religiöse Regeln zu beachten: Die Sukka darf nicht höher als zehn Meter sein, muss aus natürlichem, gewachsenem Material bestehen und es muss möglich sein, durch ihr Blätterdach einen freien Blick auf den Sternenhimmel zu werfen. In Israel werden die Hütten mit Myrthen- und Weidenzweigen sowie Palmwedeln gebaut und mit verschiedenen Zitrusfrüchten geschmückt. Jede der Pflanzen hat in diesem Kontext eine eigene religiöse Bedeutung. Unsere Sukka wurde mit Laub vom jüdischen Friedhof in Minden und selbstgebastelten Wimpelketten dekoriert und steht für Gemeinsamkeit, Zusammenhalt und Frieden.

Gebaut wurde unsere Sukka übrigens durch ein Team der Jugendbauhütte NRW-Westfalen, einem Projekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Unsere talentierten Baumeisterinnen und Baumeister leisten dort gerade alle ein freiwilliges soziales Jahr, darüber hinaus standen ihnen Ehemalige tatkräftig zur Seite. Tischlermeister und Restaurator Ralf Deerberg leitete das Team sachkundig an. Für ihn war Sukkot ein Herzensprojekt, nicht nur weil er schon viele Restaurierungsaufträge für das LWL-Preußenmuseum übernommen hat, sondern auch weil ihn der Grundgedanke des Festes sehr bewegt. „Die Hütte ist ein Zufluchtsort. Wie viele Menschen sind heute auf der Flucht und haben nicht mal das?“, gibt er zu bedenken.

Obwohl Sukkot ein fröhliches Fest ist und auch als solches gefeiert wird, darf leider auch bei dieser Veranstaltung Antisemitismus nicht außer Acht gelassen werden. Daher haben wir sehr lange überlegt, wo unsere Laubhütte eigentlich stehen soll und uns schließlich dafür entschieden, sie hinter dem Haus zu platzieren. „Wir haben uns sehr viele Gedanken über die Problematik gemacht, wie wir hier mit Antisemitismus umgehen wollen, der auch vor unserer Haustür sehr offen zur Tage tritt, und ob wir vor diesem Hintergrund die Sukka in den Mittelpunkt rücken sollten. Auch hier in der Region sind wir nicht frei davon,“ so Sylvia Necker. Klar war aber, dass wir uns an Sukkot XXL in jedem Fall beteiligen wollten – um zu zeigen, wie verschiedene Kulturen und Traditionen miteinander verbunden sind, unabhängig von Religion und Nationalität.

// Text: Danielle Dörsing, Doris Wermelt


Mehr Informationen und Eindrücke von anderen Veranstaltungen finden Sie auf der Projekt-Website zu #SukkotXXL oder unserem Instagram-Account @preussenmuseum.

Hier geht es zur Videobotschaft „Von Sukka zu Sukka – ein Gruß des LWL-Preußenmuseums Minden“: https://www.youtube.com/watch?v=fn8z44vr6ZM